Arbeitshaus

Ehemaliges Arbeitshaus in Cheshire (GB), erbaut 1780

Das Arbeitshaus stellte eines der wesentlichen Merkmale armenpolitischer Bemühungen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts dar: Dort sollten von Armut betroffene Menschen, vor allem Bettler, aufgenommen und damit aus der Öffentlichkeit entfernt werden. Nicht selten gehörten deshalb verwahrloste Waisenkinder zu den Insassen, manchmal auch Menschen mit geistiger Behinderung. Gleichzeitig nutzte man die Arbeitskraft dieser Menschen, indem sie sich der manufakturellen Produktionsweise, die unter anderem die Haupteinnahme des absolutistischen Staates bildete, zur Verfügung stellen mussten. Die Umwandlung herumziehender Armer in wirtschaftlich verwendbare Untertanen sollte durch Methoden der Arbeitserziehung erreicht werden. Der Utilitarismus des aufkommenden Industriezeitalters stellte dann das Arbeitshaus im 19. Jahrhundert unter den Leitsatz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, um so unter kapitalistischen Vorzeichen eine Fabrikdisziplin gesellschaftlich durchsetzen zu helfen.

Obdachlose im Arbeitshaus, Die Gartenlaube 1857

Das erste europäische Arbeitshaus wurde 1555 in London gegründet. Wenig später folgten Häuser in den Niederlanden (Amsterdam). Die ersten deutschen Gründungen finden sich in Bremen (1609), Lübeck (1613) und Hamburg (1620). Markant ist die Konzentration auf den urbanen Raum. Die meisten Gründungen im deutschsprachigen Gebiet gehen auf kommunale Initiative in den Städten zurück, was zeigt, dass das Arbeitshaus keineswegs allein ein Produkt des absolutistischen Staates darstellt.

Auffallend ist daneben die Verbreitung in protestantischen Gegenden. Folgt man der Protestantismusthese des Soziologen Max Weber, so hing dies mit einem neuen Verständnis von Arbeit zusammen, das durch Martin Luther, besonders aber durch Johannes Calvin geprägt worden sei: Durch die Reformation entstand eine Frömmigkeit, innerhalb derer Arbeit einerseits gläubig dienend verrichtet werden sollte, andererseits das damit erworbene Vermögen als Zeichen göttlichen Wohlgefallens betrachtet wurde.

Ein anderer mit der Reformation in Verbindung stehender Faktor war, dass sich durch die Auflösung von Klöstern Räume anboten, die anderweitig genutzt werden konnten. Diese Tendenz beschränkte sich jedoch nicht allein auf protestantische Gegenden. Auch in katholischen Gegenden befanden sich viele Arbeitshäuser in ehemaligen Klöstern.

Trotz offizieller Unterscheidungen zwischen Arbeitshäusern, Zuchthäusern oder anderen möglichen Bezeichnungen (Manufakturhaus, Werkhaus, Korrektionshaus) war die Benennung nicht unbedingt ein Hinweis auf die tatsächliche „Konzeption“, die sich hinter einer Einrichtung verbarg. Auch Häuser, in denen die Aufnahme angeblich freiwillig war, konnten Insassen haben, die durch Razzien und ohne ihr Zutun dort inhaftiert wurden. So wurde beispielsweise das Militärische Arbeitshaus München – seiner Konzeption nach ein freiwilliger Aufenthaltsort – am Neujahrstag 1780 mit einer Razzia auf die Münchner Bettler eröffnet.

Quantitativ spielten die Arbeitshäuser keine große Rolle. Vermutlich erfassten sie keinen nennenswerten Teil der Armutsbevölkerung. Trotzdem hatten sie indirekt disziplinierende Wirksamkeit, da sie offensichtlich eine Abschreckungsmaßnahme des Stadtregiments bzw. des absolutistischen Staates darstellten.

Da die Arbeitshäuser in erster Linie als armenpolitische Maßnahme und zur Armenpflege gedacht waren, versammelten sich in ihnen nahezu alle Außenseiter, die die frühe Neuzeit hervorgebracht hatte: Bettler, Dirnen, ehemalige Soldaten, Handwerker ohne Anstellung, Straffällige oder Waisenkinder. Das einzig verbindende Element war ihr Arbeitspotential. Eine Trennung der Gruppen nach Geschlecht oder Alter war nur in manchen Häusern gegeben.

Die Häuser wurden in der Regel von einem Inspektor geleitet, der für die ökonomischen Belange zuständig war. Ein Werk- oder Zuchtmeister führte die Aufsicht über die Insassen. Außerdem wurden Gesellen oder andere Hilfskräfte beschäftigt. Fast immer gehörte auch ein Geistlicher oder Prediger zum Personal. Die Häuser trugen sich selten selbst, sondern wurden neben den Produktionseinnahmen von staatlicher Seite bezuschusst sowie von Erträgen aus Lotteriegewinnen, Kollekten und landesherrlichen bzw. städtischen Spenden. Auf diese Weise wurden sie zu Konkurrenzunternehmen zum Handwerk, was von den Zünften sehr kritisch gesehen wurde.


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