Diathese (Linguistik)

Die Diathese (altgriechisch διάθεσις diáthesis ‚Aufstellung, Zustand‘), manchmal in gleicher Bedeutung Genus Verbi (lateinisch: „Gattung (Art, Geschlecht) des Zeitworts“), deutsch auch Handlungsrichtung genannt, ist in der Sprachwissenschaft eine grammatische Kategorie des Verbs. Es gibt verschiedenartige Konzeptionen, welche Erscheinungen als Diathese bezeichnet werden und wie der Begriff insgesamt bestimmt wird.

Als typischster Beispielfall einer Diathese gilt das Passiv. In der deutschen Grammatik wird Diathese oft nur als die Kategorie definiert, die Aktiv und Passiv zusammenfasst. Dann ist Diathese eine Kategorie in der Konjugation des Verbs und die Bezeichnung wird überwiegend als synonym zu Genus Verbi gesehen. In vielen anderen Ansätzen werden aber weitere grammatische Erscheinungen einbezogen wie z. B. Kausativ, Antikausativ, Reflexiv usw. (wodurch der Bereich der Konjugationsformen verlassen wird). Diathese wird somit zu einem sehr abstrakten Begriff: Er fasst verschiedene, schon für sich bestehende grammatische Kategorien zusammen, um bestimmte Gemeinsamkeiten in ihrer Funktionsweise herauszustellen. Unterschiede in der Fachliteratur über Diathesen entstehen daraus, was für Gemeinsamkeiten man dabei genau ins Auge fasst.

Ursprünglich wurde der Begriff Diathese von den antiken Grammatikern des Altgriechischen geprägt; dort bezieht er sich auf das sogenannte Aktiv/Medium-System des Griechischen. Aktiv und Medium sind zwei Kategorien, die in den meisten Fällen eigene Bedeutungen ausdrücken (eine Klassifikation von Situationen danach, ob das Geschehen vom Subjekt nur ausgeht oder ob das Subjekt (mit-)betroffen ist). Daher erlauben viele Verben nur entweder Aktiv- oder Medium-Form, und Verben, die in beiden Formen vorkommen, zeigen dabei unterschiedliche Bedeutungsvarianten. Ein Aktiv/Passiv-System, wie es im Deutschen vorliegt, ist jedoch anders geartet: Es ist nicht bedeutungstragend, da das Passiv nur die grammatische Darstellung der Verbergänzungen abändert, und es ist nicht symmetrisch, da das Aktiv nur die neutrale, nicht-passivierte Form darstellt. Aufgrund solcher einzelsprachlicher Unterschiede ergab es sich, dass der Begriff der Diathese seit seiner Entstehung im antiken Griechenland mehrfach fundamental umgedeutet worden ist. Manche heutigen Darstellungen zeigen auch eine Vermengung von Aspekten der klassischen Begrifflichkeit mit modernen Weiterentwicklungen.

Eine heute gängige Definition in einer weiter gefassten Bedeutung ist, dass Diathesen regeln, ob und in welcher Anordnung die von der Verbbedeutung vorgegebenen Teilnehmerrollen (Semantische Rollen) im Satzbau erscheinen. „Diathese“ bezeichnet hier insbesondere verschiedene Arten von Abwandlung einer zugrundeliegenden Anordnung (Valenzalternation), was für das altgriechische Medium weniger zutrifft.

Die sprachwissenschaftliche Literatur verhält sich nicht nur uneinheitlich darin, auf welche Phänomene der Begriff Diathese sich erstrecken soll, sondern auch darin, ob der traditionelle Begriff Genus Verbi und seine englische Übersetzung voice mit Diathese gleichgesetzt oder von Diathese unterschieden werden. Anders als in der Grammatik der klassischen Sprachen wird in neuerer Literatur häufig eine Unterscheidung definiert. Hiernach soll Genus Verbi (bzw. voice) beim Verb die konkreten grammatischen Formen bezeichnen, die eine Diathese anzeigen; entsprechend ist dann Diathese eine formale Operation, die an der Schnittstelle von Verbbedeutung und Satzgrammatik stattfindet, und die unabhängig davon ist, ob und wie sie äußerlich angezeigt wird. Genus Verbi ist dann also eine morphologische Kategorie, Diathese ein Begriff, der mit grammatischen Funktionen zu tun hat.


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