Als Doctrine of Lapse wird eine in Indien praktizierte Annexionspolitik bezeichnet, die durch Lord Dalhousie, 1847–56 Generalgouverneur von Britisch-Indien, eingeführt wurde. Die Doctrine of Lapse bestimmte, dass jeder indische Fürstenstaat, dessen Herrscher sich unfähig zeigte oder ohne Erben starb (manifestly incompetent or died without a direct heir), von der Britischen Ostindien-Kompanie zu annektieren sei.[1] Mit der Doktrin wurde das lang bestehende Recht indischer Souveräne bestritten, bei einem fehlenden Erben einen Nachfolger selber zu wählen. Lord Dalhousie nutzte diese Bestimmung auch, um die Primogenitur durchzusetzen. Üblich war unter indischen Souveränen, im Falle mehrerer Söhne den geeignetsten darunter als Nachfolger zu bestimmen. Die Doktrin und ihre Anwendung wurde von Indern als illegitim verstanden. Die Britische Ostindien-Kompanie dagegen nutzte sie, um ihren Einflussbereich auf dem indischen Kontinent auszudehnen. Satara (1848), Jaitpur, Sambalpur (1849), Nagpur, Jhansi (1854) und Avadh (Oudh) (1856) fielen so an die Kompanie. Sie steigerte damit ihre jährlichen Einnahmen um etwa vier Millionen britische Pfund.[2] Zu Beginn des indischen Aufstands von 1857 befanden sich so zwei Drittel des indischen Subkontinents unter direkter britischer Herrschaft, wobei vielerorts allerdings die lokale Macht und die Regelung innerer Angelegenheiten zu großen Teilen in den Händen angestammter Adelsgeschlechter verblieben.