Emergent

Amazonas-Regenwald in Peru mit einem emergenten Paranussbaum
Blick von unten in die Krone eines riesigen Kapokbaums

Emergenten (lateinisch emergere „auftauchen“, „herauskommen“, „emporsteigen“; englisch emergent [island, rock, tree] „aufragend“) – populärwissenschaftlich auch Urwaldriesen, selten Übersteher[1] genannt, oder auch mit den „sprechenden“ forstwirtschaftlichen Ausdrücken Überständer (sehr häufig) oder Überhälter (selten)[2][3] bezeichnet – sind einzelne ausgewachsene, lichthungrige Bäume oder Baumgruppen in mehrschichtigen Regen- oder Feuchtwäldern, deren Kronen sich (im Verlauf einer ungestörten Entwicklung) deutlich über das Kronendach des Waldes erheben.[4][5]

Urwaldriesen sind vor allem ein typisches Merkmal für immergrüne tropische Tieflandregenwälder, wo sie nach der Boden-, Kraut-, Strauch- und Kronenbaumschicht das fünfte „Stockwerk“ bilden. Sie erreichen dort im Durchschnitt Höhen von 45–65 Metern und ragen damit meistens zwischen 10 und mehr als 20 Meter über das Kronendach hinaus. Der höchste bisher entdeckte Emergent ist ein Gelber Merantibaum in Borneo, der fast 101 Meter hoch ist.[6] Nach geltender Lehre liegt er damit nahe an der maximal erreichbaren Baumhöhe, die physikalisch durch den Wassertransport in Pflanzen begrenzt ist.

Je kühler das Klima, je ausgeprägter die jahreszeitlichen Schwankungen und (vor allem) je geringer die Niederschläge – sowohl aufgrund von Höhenklimaten (Montane Höhenstufe) als auch durch höhere geographische Breiten (Rand- und subtropische Feuchtklimate hin zu wintermilden, feuchten Klimaten der kühlgemäßigten Klimazone) –, desto seltener und niedriger sind im Allgemeinen die Übersteher in geeigneten Waldtypen. Bei tropisch wechselfeuchten und außertropischen Wäldern ist nicht immer eindeutig zu klären, ob es sich um echte Emergenten oder um Restbestockung oder Reliktarten handelt.

Je ausgeprägter die Emergenten eines Waldes sind, desto größer ist ihre Bedeutung für dessen Artenvielfalt und Biodiversität, unter anderem durch die zusätzlich entstehenden ökologischen Nischen im Kronenbereich. Ihre enorm große Holzmenge und ihre sehr widerstandsfähigen Holzqualitäten machen sie häufig zu begehrten Objekten der Holzindustrie. Bei den Arten, die zu Urwaldriesen heranwachsen, handelt es sich nur zum Teil um speziell hochwüchsige Spezies; häufig werden sie auch von Arten gebildet, die anderswo zu den niedrigeren Kronendacharten gehören.

Die Existenz von Emergenten gibt der Wissenschaft Rätsel auf – bekannt als „Phänomen der überproportionalen Flächenproduktivität“: Für einige Beispiele ist dokumentiert, dass am Standort solcher Urwaldriesen deutlich mehr Biomasse gebildet wird, als man erwarten würde.

Bei vielen Völkern stehen Urwaldriesen als heilige Bäume im Zentrum religiöser Baumkulte,[7] so etwa der Kapokbaum bei den Maya,[8] der Kauri-Baum bei den Māori[9] und die Sicheltanne bei den Shintō-Anhängern Japans.

Während „emergent tree“ im englischen Sprachraum auch unabhängig von der Art des Waldes die Bäume der kronenbildenden Schicht bezeichnen kann, ist die deutsche Ableitung Emergent geschlossenen Wäldern mit einem vielschichtigen Stockwerkbau vorbehalten, für die eine offene oberste „Schicht“ aus solchen überstehenden Baumriesen typisch sind.

Die Bezeichnungen Überhälter/Überständer, die in der Fachliteratur oft in Anführungszeichen oder durch das Adjektiv sogenannte als „behelfsmäßig“ gekennzeichnet sind, werden zwar bisweilen verwendet, beziehen sich aber in erster Linie auf die forstwirtschaftliche Methode, einzelne Bäume oder Baumgruppen bei der Waldpflege oder Holzernte als zukünftige Samenbäume stehen zu lassen.[10]

  1. Michael Richter (Autor), Wolf Dieter Blümel et al. (Hrsg.): Vegetationszonen der Erde. 1. Auflage, Klett-Perthes, Gotha und Stuttgart 2001, ISBN 3-623-00859-1. S. 275.
  2. Georg Grabherr: Farbatlas Ökosysteme der Erde. Ulmer, Stuttgart 1997, ISBN 3-8001-3489-6. S. 52 (Trop. Regenwald), 222 (Lorbeerwald).
  3. Harald Kehl: Vegetationsökologie Tropischer & Subtropischer Klimate. TU-Berlin, Alternative Bewirtschaftung des Tropischen Regenwaldes, abgerufen am 17. Januar 2022.
  4. Jürgen Schultz: Die Ökozonen der Erde. 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Ulmer UTB, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8252-1514-9. S. 328.
  5. Richard Pott: Allgemeine Geobotanik. Biogeosysteme und Biodiversität. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 2005, ISBN 3-540-23058-0. S. 581 (allg.), 512–517 (Neuseeland).
  6. Daniel Lingenhöhl: Gigant auf Borneo entdeckt, News auf spektrum.de vom 20. April 2019, abgerufen am 14. März 2022.
  7. Joachim Radkau: Natur und Macht – Eine Weltgeschichte der Umwelt. 2. Auflage, C.H.Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63493-2. S. 100.
  8. Christian Rätsch: Einführung in die Kosmologie der Maya. In: Ders.: Chactun – Die Götter der Maya. Quellentexte, Darstellung und Wörterbuch. (= Diederichs Gelbe Reihe. Band 57). Eugen Diederichs Verlag, München 1986, S. 15.
  9. Per Liljas: Topp jobb – Porträtt Fredrik Hjelm. In: Sveriges Natur. Nr. 4, 2020, S. 40–41.
  10. Hartmut Leser (Hrsg.) et al.: Diercke Wörterbuch Geographie. 16., völlig überarbeitete Auflage, Westermann, Braunschweig 2017, ISBN 978-3-14-100840-1. S. 978.

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