Galant

Zwischen Roman und offener Chronique Scandaleuse: Anne-Marguerite Petit DuNoyer: Die galante Correspondentz, 1–2; Freyburg, H. Clement, 1712

Als galant wird im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch das zuvorkommende Verhalten eines Mannes gegenüber einer Frau bezeichnet. In den 1920ern und 1930ern war hiermit noch klarer ein männliches Verhalten bezeichnet, das Frauen für sich einnimmt.[1] Das Galante ist jenseits dieses Sprachgebrauchs ein in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Europa aufgekommenes Mode- und Stilideal – eng verknüpft mit einer gleichzeitigen Mode alles Europäischen, die unter dem Dach gemeinsamen Geschmacks an der Vielfalt vor allem französische Kultur internationalisierte. Es gehörte zum Galanten in diesem zweiten Sinn, dass es sich selbst jeder pedantischen Bestimmung entziehen sollte, mit Geschmack[2] erkannt wurde, nicht mit Regeln zu fassen war: Das „gewisse Etwas“, das „Je ne sais quoi (weiß nicht was)“, das einen Menschen oder eine Sache anziehend machte, wurde Quintessenz, eine neue Natürlichkeit und Freiheit, insbesondere im Umgang der Geschlechter miteinander. Christian Thomasius spricht in dieser Form der Definitionsverweigerung und des Interesses am zu erzielenden Effekt über das Galante:

„Aber a propos was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürffte uns in Wahrheit mehr zuthun machen als alles vorige, zumahl da dieses Wort bey uns Teutschen so gemein und so sehr gemißbrauchet worden, daß es von Hund und Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bäncken, von Feder und Dinten, und ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Aepffel und Birn zum öftern gesagt wird. So scheinet auch als wenn die Frantzosen selbst nicht einig wären, worinn eigentlich die wahrhafftige Galanterie bestehe. Mademoiselle Scudery beschreibet dieselbe […] als wenn es eine verborgene natürliche Eigenschaffte wäre, durch welche man gleichsam wider Willen gezwungen würde einem Menschen günstig und gewogen zu seyn, bey welcher Beschaffenheit denn die Galanterie und das je ne sçay quoy […] einerley wären. Ich aber halte meines Bedünckens davor, daß […] es etwas gemischtes sey, so aus dem je ne sçay quoy, aus der guten Art, etwas zu thun, aus der Manier zu leben, so am Hofe gebräuchlich ist, auß Verstand, Gelehrsamkeit, einem guten Judicio, Hoflichkeit, und Freudigkeit zusammen gesetzet werde.“[3]

Die Gegner des Galanten sprechen früh von moralischer Leichtfertigkeit, Verantwortungslosigkeit wird dem Verhaltensideal noch im 17. Jahrhundert nachgesagt, ohne dass sich dabei eine neue Mode vergleichbar auf einen Begriff bringen lässt. Erst die sensibilité, die Empfindsamkeit, die Mode der sensibility, der tenderness, der Zärtlichkeit schafft Mitte des 18. Jahrhunderts eine Gegenposition.

Zum Galanten gehören neben der Galante Conduite, dem spezifisch galanten Verhalten, ein eigener Stil in den belles lettres (das französische Etikett für den eleganten Markt der Wissengegenstände, das heute noch mit dem deutschen Wort „Belletristik“ fortlebt, wird im frühen 18. Jahrhundert selbst zumeist mit „galante Wissenschaften“ übersetzt), galante Poesie, galante Romane, eine Kunst galanter Konversation und galante Musik. Die Stilsetzungen in den verschiedenen Gebieten wurden zum Teil im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts modifiziert. Insbesondere die galante Musik erfuhr dabei eine begriffliche Verlagerung. Musik des frühen 18. Jahrhunderts, die in ihrer Zeit für „galant“ erachtet wurde, wird heute zum überwiegenden Teil dem Barock zugeordnet. Die Musikkritik verengte den Begriff auf einen Übergangsstil des mittleren 18. Jahrhunderts, der das Galante neu bewertete.

  1. So heißt es etwa im Text, den Fritz Rotter dem Schlager Ich küsse Ihre Hand, Madame 1929 im gleichnamigen Film mit Marlene Dietrich zur Musik Ralph Erwins setzte: „Ich küsse ihre Hand, Madame/ und träum es wär’ ihr Mund/ ich bin ja so galant Madame/ doch das hat seinen Grund/ hab ich erst ihr Vertrau’n, Madame/ und ihre Sympathie/ wenn sie erst auf mich bau’n, Madame/ ja dann sie werden schau’n, Madame/ küss ich statt ihrer Hand, Madame/ nur ihren roten Mund.“
  2. Die Betonung des Geschmacks gegenüber den Regeln ist ein essentielles Moment in allen Debatten, die sich im 17. und 18. Jahrhundert den „schönen Künsten“ widmen, Verfechter des Galanten stehen hier als Verteidiger des Geschmacks den Verteidigern der Regelpoetiken gegenüber. In der Forschungsliteratur gibt es zum Aufstieg der Geschmacksdebatte einen eigenen Bereich mit Arbeiten wie: George Dickie, The Century of Taste: The philosophical odyssey of taste in the eighteenth century (Oxford University Press, 1996), Denise Gigante, Taste: a literary history (Yale University Press, 2005), Jeremy Black, A subject for taste: culture in eighteenth-century England (Continuum International Publishing Group, 2007).
  3. Zitiert nach „Deß Königl. Preussischen Herrn Geheimen Raths, Christiani Thomasii Judicium vom Gracian, auß seinen kleinen Schrifften gezogen“, in: Baltasar Gracians, Homme de Cour, oder: kluger Hof- und Welt-Mann […] ins Teutsche übersetzet, von Selintes (Augsburg: P. Kühtz, 1711), Bl. **4v-5r.

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