Die griechische Staatsschuldenkrise (auch griechische Finanzkrise[1] und griechische Depression[2]) ist eine seit 2010 laufende Krise des Staatshaushalts und der Volkswirtschaft der Republik Griechenland. Nach dem Wegfall der nationalen Währungen und des damit verbundenen Wechselkursmechanismus nach der Euro-Einführung war die Entwicklung geeigneter interner Anpassungsmechanismen in den Euro-Ländern missglückt.[3] Bereits ein Jahr vor dem 2001 erfolgten Beitritt zur Eurozone betrug die Staatsverschuldung Griechenlands 104,4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Während der weltweiten Finanzkrise ab 2007 und des Bankenrettungsprogramms der Regierung Karamanlis stieg die griechische Staatsschuldenquote weiter von 107,2 % (2007) auf 129,7 % (2009) an.[4]
Im Oktober 2009 gab der neu gewählte Ministerpräsident Giorgos A. Papandreou (PASOK) nach oben korrigierte Daten zur Verschuldung (von 3,7 auf 12,7 % des BIP) und weitere schlechte Wirtschaftsdaten bekannt. Methodische Mängel des Statistischen Amts Griechenlands (ESYE) und mögliche politische Einflussnahmen auf die Statistik veranlassten diese Korrektur. Die neuen Daten führten dazu, dass die Renditen der griechischen Staatsanleihen scharf anstiegen.[5][6] Im selben Jahr bat Papandreou den IWF-Chef Strauss-Kahn, für Griechenland ein Hilfsprogramm aufzulegen, was dieser ablehnte, um den Ministerpräsidenten an die EU-Partner zu verweisen.[7] Diese bereiteten mit dem IWF ein sehr viel größeres Kreditpaket vor.
Papandreou gab im November 2011 bekannt, dass er dieses Kreditpaket nur nach einer Volksabstimmung annehmen wollte. Im Falle einer Ablehnung wollte er den Austritt aus dem Eurosystem betreiben.[8] Die Regierungen Sarkozy und Merkel verlangten jedoch, dass Griechenland die Kreditbedingungen ohne Abstimmung akzeptiere. Papandreou gab nach.[9]
Ein IWF-Kredit in Höhe von 30 Milliarden Euro für Griechenland wurde durch die EU zunächst auf ein Volumen von insgesamt 110 Milliarden Euro aufgestockt und als Maßnahme zur Rettung Griechenlands und des Euro deklariert.[10] Während die IWF-Kredite für Griechenland (auch „Notkredite“ genannt) bis heute (Stand Mai 2018) inflationsbedingt nur geringfügig auf 32 Milliarden Euro korrigiert wurden,[11] erhöhten EU und EZB den Anteil zur Euro-Rettung (sogenannte „Notbürgschaften“) an den inzwischen drei Kreditpaketen trotz Bedenken der jeweils nacheinander beteiligten Ministerpräsidenten Papandreou, Samaras und Tsipras auf 290 Milliarden Euro (= Euro-Rettungsschirm). Somit fällt der eingeräumte Finanzrahmen der drei beteiligten Institutionen – der sogenannten „Troika“ – mit nunmehr 322 Milliarden Euro zehnmal so hoch aus wie das vom IWF aufgelegte Hilfsprogramm. Davon wurden schließlich 277,6 Milliarden Euro ausgezahlt (Stand September 2018).[12] 31,9 Milliarden Euro IWF-Kredit gingen an den griechischen Staat und 245,7 Milliarden Euro sogenannte EU-Bürgschaften an europäische Banken.
Im März 2015 folgte der Kauf von Anleihen von Euro-Staaten durch die Europäische Zentralbank (EZB).[13] Die „Institutionen“ und die griechische Regierung beschlossen unter anderem umfassende Haushaltskürzungen. Die Maßnahmen beinhalteten unter anderem Lohnkürzungen,[14] zum Beispiel im öffentlichen Dienst und beim Mindestlohn[15]:201, allgemeine Haushaltskürzungen und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Zudem wurden Privatisierungen vorgenommen.[14] Daneben wurden Maßnahmen zur Verbesserung der griechischen Verwaltung angestoßen. Dazu zählen die im Mai 2010 erfolgte Umsetzung der Verwaltungsreform nach dem Kallikratis-Programm, die zahlenmäßige Erfassung aller für den Staat arbeitenden Personen und die Überprüfung von Rentenzahlungen an möglicherweise bereits Verstorbene. Die seit Jahren laufende Zusammenlegung der zahlreichen lokalen Grundbuchämter (υποθηκοφυλάκειο „Hypothekenamt, Grundbuchamt“) zu einem nationalen Kataster über alle rund 3,6 Millionen Liegenschaften soll bis 2020[veraltet] abgeschlossen sein.
Griechenland befand sich ab dem Jahr 2008 in einer Rezession und hat bis 2013 ungefähr 26 Prozent seines realen (preisbereinigten) Bruttoinlandsprodukts (BIP) eingebüßt. 2014 ergab sich ein minimales Plus von 0,4 % des realen BIPs.[16] Der relative Schuldenstand hat sich – trotz Schuldenschnitts 2012 und trotz oder aufgrund verordneter Maßnahmen durch die Troika – von 2007 bis 2014 von 107,2 % auf 177,1 % des schrumpfenden BIPs erhöht.[4]:33[17] Griechenland befindet sich seit März 2013 in der Deflation.[18] Die Arbeitslosigkeit ist stark angestiegen und lag 2014 bei rund 26 Prozent, stark zugenommen hatten die Probleme unter anderem im Gesundheitssektor.[19]
Am 25. Januar 2015 kam es zu einem Regierungswechsel in Griechenland. Die neue Regierungspartei SYRIZA führte die Verhandlungen über das zweite Programm zunächst fünf Monate lang fort. In der Nacht zum 27. Juni 2015 brach Regierungschef Alexis Tsipras die Verhandlungen ab und setzte ein Referendum an. Schon am nächsten Tag beschloss das Parlament mit überwältigender Mehrheit, das Referendum durchzuführen. Als Gegenmaßnahme stoppte EZB-Chef Mario Draghi umgehend den Kapitalverkehr zu den griechischen Banken, sodass Finanzminister Yanis Varoufakis seinerseits genötigt war, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Im Juni 2015 wurde der Auslandstransfer vollständig unter staatliche Aufsicht gestellt und nur in Ausnahmen freigegeben. Barauszahlungen durch Banken wurden auf 60 € pro Tag eingeschränkt.
Diese Einschränkungen betrafen vor allem Selbständige und Unternehmen; die Bevölkerungsmehrheit unterstützte das Referendum ihrer Regierung mit 61,3 % Nein-Stimmen gegen die EZB und gegen die EU-Partner. Daraufhin vollzog Tsipras überraschend noch in der Wahlnacht eine Kehrtwende, die Finanzminister Varoufakis nicht mittragen wollte und zurücktrat.
Am 12. Juli 2015 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone einstimmig auf Rahmenbedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm[20] und Athen erhielt einen Überbrückungskredit in Höhe von 7,16 Milliarden Euro aus dem zuvor mehrere Jahre nicht mehr genutzten EU-Rettungsschirm EFSM. Die Euro-Finanzminister stimmten am 19. August 2015 dem dritten Hilfspaket zu. Das dritte Paket hatte einen Umfang von 86 Milliarden Euro und lief im August 2018 aus. Es wurde über den ESM abgewickelt.[21] Am 20. August gab Alexis Tsipras seinen Rücktritt bekannt, um die Revision seiner Position durch eine Wiederwahl zu legitimieren. Bei der Parlamentswahl in Griechenland September 2015 ging Tsipras erneut als Sieger hervor und setzte die Koalition mit der ANEL-Partei fort.[22]
Das im August 2018 ausgelaufene dritte Hilfsprogramm für Griechenland wurde nicht weitergeführt. Der Ministerpräsident hatte es vorzeitig abgeschlossen, noch bevor die bereitgestellten Mittel aufgebraucht waren. Von den ursprünglich vereinbarten 86 Milliarden Euro akzeptierte Griechenland schließlich, nur 55 Milliarden Euro an die Banken durchzureichen. Stattdessen kündigte Tsipras an, dass sein Land künftig ohne europäische Hilfsprogramme auskomme.[23] Die abschließende Zahlung an Athen in Höhe von 15 Milliarden Euro sowie eine Verschiebung von Kreditrückzahlungen um zehn Jahre wurde 2018 von den Finanzministern der Eurozone vereinbart.[24]
↑D. B Papadimitriou, M. Nikiforos, G. Zezza: The Greek Economic Crisis and the Experience of Austerity A Strategic Analysis. July 2013. The Levy Economics Institute of Bard College
↑Clas Wihlborg, Thomas D. Willett, Nan Zhang: The Euro Crisis: It Isn't Just Fiscal and it Doesn't Just Involve Greece, 8. September 2010, Claremont McKenna College Robert Day School of Economics and Finance Research Paper No. 2011-03, SSRN und doi:10.2139/ssrn.1776133
↑ abDirectorate-General for Economic and Financial Affairs: General Government Data. (PDF; 370 kB) General Government Revenue, Expenditure, Balances and Gross Debt. European Commission, 19. Oktober 2012, abgerufen am 8. Juli 2015 (englisch).
↑Der 2010 eingeräumte IWF-Kredit von 40 Milliarden US-$ (damals 30 Milliarden Euro) ergab bis zur letzten Tranche im August 2014 inflationsbedingt insgesamt 32 Milliarden Euro.
↑Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen tagesschau.
↑EZB-Kauf von Staatsanleihen. Das Billionenexperiment hat begonnen. In: Spiegel Online. 9. März 2015, abgerufen am 8. Juli 2015.
↑ abKlaus Busch, Christoph Hermann, Karl Hinrichs, Thorsten Schulten: Eurokrise, Austeritätspolitik und das Europäische Sozialmodell. Wie die Krisenpolitik in Südeuropa die soziale Dimension der EU bedroht. Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung (= Internationale Politikanalyse). 2012, ISBN 978-3-86498-360-3, S.1–37 (library.fes.de [PDF; abgerufen am 8. Juli 2015]).
↑Theodoros Sakellaropoulos: Aussichten der griechischen Pensionen unter der Schulden-, Steuer- und Beschäftigungskrise. In: Deutsche Rentenversicherung (DRV). Nr.04, 2012, S.195–201 (researchgate.net [PDF; abgerufen am 8. Juli 2015]).
↑Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen eurostat_tec00115.
↑Florian Diekmann: Moody’s stuft Griechenland auf niedrigste Note herab. Der Spiegel, 3. März 2012, abgerufen am 3. März 2012: „Moody’s hat die Kreditwürdigkeit Griechenlands erneut gesenkt – auf die niedrigste Stufe, die die Rating-Agentur zu vergeben hat. Grund sei die Einigung über den Schuldenschnitt für private Gläubiger. Zuvor hatte auch Standard & Poor’s diesen Schritt vollzogen.“