Der Begriff griechische Literatur steht für die Literatur in griechischer Sprache, das heißt sowohl in altgriechischer als auch mittelgriechischer und neugriechischer Sprache. Im engeren Sinn versteht man darunter jedoch oft auch nur die altgriechische Literatur der Antike, wie es sich in der Forschung allgemein eingebürgert hat (z. B. Einteilung der Lehrstühle und Studienfächer an Universitäten). So werden auch hier die byzantinische (mittelgriechische) und neugriechische Literatur in separaten Artikeln behandelt. Der Einfachheit halber wird im Folgenden die altgriechische Literatur auch oft kurz als „griechische“ Literatur bezeichnet.
Für die Erforschung der europäischen Literaturen der Neuzeit und der Moderne stehen die Texte fast in vollem Umfang in Bibliotheken zur Verfügung. Ausgenommen sind allenfalls Texte der Trivialliteratur, die nicht für aufbewahrenswert erachtet wurden. Bei der griechischen und lateinischen Literatur der Antike stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Im Wesentlichen liegen uns nur die Texte vor, die christliche Mönche im Mittelalter abgeschrieben haben. Ihre Handschriften (Codices) werden punktuell ergänzt durch kostbare spätantike Codices,[1] durch Papyrusfunde[2] und Steininschriften[3], doch diese ergänzenden Überlieferungswege können bei weitem nicht die Verluste ausgleichen.[4] Man wird kaum fehlgehen, wenn man zudem annimmt, dass bestimmte Bereiche der Literatur überdurchschnittlich von den Verlusten betroffen sind:[5] „heidnische“ Götterlehre, Philosophie des Atheismus,[6] Literatur von Frauen,[7] Literatur der gleichgeschlechtlichen Liebe bzw. Kultur[8] und anderes mehr. Entsprechende Ansätze der neueren Forschung stehen hier regelmäßig vor großen Lücken in der Quellenbasis, die nicht durch Spekulation zu schließen sind. Diese quellenmäßige Beschränkung gilt jedoch überhaupt für weite Bereiche der griechischen Literatur: Von kaum einem Autor liegt das Gesamtwerk vor.
Darüber hinaus wird unser Bild von der griechischen (und der lateinischen) Literatur maßgeblich durch die jahrhundertelange Rezeptions- und Forschungstradition geprägt. Autoren, die zum Kanon der Schullektüre gehör(t)en, wurden weit intensiver gepflegt und erforscht als andere. Insbesondere in den Bereichen der „kleinen“ Autoren, der sogenannten Buntschriftsteller und der Fachliteratur harren noch viele Autoren und Texte der (breiteren) Entdeckung. Selbst wo der Unterricht an Schulen (und Universitäten) heute neuere Strömungen der Geschichts- und Literaturwissenschaft aufgreift, tut er das im Regelfall weiterhin nur (bzw. vorzugsweise) am Beispiel der etablierten Schulautoren.
Die jahrhundertelange Rezeption der griechischen Literatur in Mitteleuropa zeigt andererseits auch ihre Bedeutung für uns, bzw. teilweise macht die Rezeption die Bedeutung erst aus. Die indische oder arabische Literatur sind nicht weniger reich, doch sie stehen uns buchstäblich fern und sind viel weniger in unser kulturelles Erbe eingegangen.