Intergeschlechtlichkeit

Flagge für Inter­geschlecht­lichkeit (Morgan Carpenter, 2013)

Intergeschlechtlichkeit oder Intersexualität, auch Zwischengeschlechtlichkeit, bezeichnet die biologische Besonderheit von Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig als weiblich oder männlich einzuordnen sind.[1][2][3][4] Intergeschlechtliche bzw. intersexuelle Menschen werden wegen dieser Abweichung häufig pathologisiert, obwohl sie meist gesund sind,[5][6] und bereits Kinder werden genitalverändernden Operationen unterzogen, um sie der Norm anzupassen.[7][8] Sie erleben häufig Diskriminierung, weshalb viele ihre Intergeschlechtlichkeit bzw. Intersexualität verstecken.[5][9]

Der Terminus Intersexualität (nicht Intergeschlechtlichkeit) wird neben Menschen auch auf Tiere angewandt,[10] er wurde von dem Genetiker Richard Goldschmidt 1915 sogar für Tiere (Schmetterlinge) neu eingeführt. Heute wird er meist anders als von Goldschmidt definiert verwendet und steht in Konkurrenz zum Begriff Gynandromorphismus, der beim Menschen nicht verwendet wird. Viele Forscher verwenden intersexuell eher für Organe oder Merkmale, die intermediär ausgeprägt sind, und gynandromorph eher dann, wenn sie mosaikartig auftreten, etwa bezogen auf rechte und linke Körperseite oder andere Körperabschnitte, der Sprachgebrauch ist aber nicht einheitlich.[11]

Geschlechtliche körperliche Besonderheiten können etwa auf der chromosomalen, gonadalen, hormonellen oder anatomischen Ebene auftreten. Medizinisch wird Intergeschlechtlichkeit den sogenannten Varianten der Geschlechtsentwicklung oder -Differenzierung[12] (DSD von englisch disorders of sex development)[13] zugerechnet. Die medizinische Klassifikation wandelt sich stetig und wird innerhalb und außerhalb der Wissenschaft immer wieder kontrovers diskutiert.[14]

Schätzungen der Häufigkeit sind schwierig und zwischen verschiedenen Forschern umstritten, weil die jeweils verwendeten Definitionen stark voneinander abweichen. Angegeben werden Größenordnungen zwischen einem Fall bei ca. 4500 bis 5500 Neugeborenen bis hin zu einem Fall bei 1200 bis 1300 Neugeborenen.[3][15] Für manche gilt aber auch das PCO-Syndrom, das alleine etwa 4 % bis 12 % aller nach der Geburt als weiblich eingeordneten Menschen betrifft, als intergeschlechtlich.[16] Dies zeigt, dass Schätzungen davon abhängen, was genau als intergeschlechtlich definiert wird und was als „normale“ weibliche bzw. männliche Biologie gilt.[17] Für die Definierung solcher Normen wird dem medizinischen Bereich viel Geltungshoheit eingeräumt.[18]

In Deutschland ist es seit 2018 möglich, „divers“ als Geschlecht in das Personenstandsregister einzutragen. Zuvor war es seit 2013 bereits möglich, auf einen Geschlechts-Eintrag zu verzichten. „Intergeschlechtlichkeit“ ist keine Geschlechtsidentität und je nach individuellem Geschlechtsempfinden nehmen sich intergeschlechtliche Menschen als weiblich, männlich oder nicht-binär wahr.[19]

Im deutschen Sprachraum bevorzugen viele Personen den Begriff „Intergeschlechtlichkeit“ anstatt dem veralteten medizinischen Fachbegriff „Intersexualität“, da dieser das potentielle Missverständnis vermeide, es handele sich um eine sexuelle Orientierung, und den Bezug zum biologischen Geschlecht betone.[20][21][22] Als Gegenbegriff zu „intergeschlechtlich“ bzw. „intersexuell“ wurde der Begriff „endogeschlechtlich“ bzw. „endosexuell“ geprägt.[23]

  1. inter*. Abgerufen am 1. Mai 2023.
  2. Intergeschlechtlichkeit. In: Intergeschlechtliche Menschen e. V. Abgerufen am 1. Mai 2023.
  3. a b Inter* – was? Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, abgerufen am 1. Mai 2023.
  4. Bundeszentrale für politische Bildung: Intergeschlechtliche Menschen. Abgerufen am 16. Mai 2024.
  5. a b Dan Christian Ghattas: Menschenrechte zwischen den Geschlechtern. Vorstudie zur Lebenssituation von Inter*Personen. In: Heinrich Böll-Stiftung (Hrsg.): Reihe Demokratie. Band 34. Berlin 2013, ISBN 978-3-86928-115-5 (boell.de [PDF]).
  6. Intersex: What Is Intersex, Gender Identity, Intersex Surgery. Abgerufen am 1. Mai 2023 (englisch).
  7. Fatale Fürsorge. Abgerufen am 1. Mai 2023.
  8. Hauptforderung: Genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlich geborenen Kindern verbieten. In: Intersexuelle Menschen e. V. (Hrsg.): Fakten zu Intergeschlechtlichkeit. Nr. 2, 2020 (selbstverstaendlich-vielfalt.de [PDF]).
  9. European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.): A long way to go for LGBTI equality. 2020, ISBN 978-92-9474-997-0 (europa.eu [PDF]).
  10. Rudolf Reinboth (Hrsg.): Intersexuality in the Animal Kingdom. Springer-Verlag, Berlin / New York 1975, ISBN 0-387-07118-0.
  11. Giuseppe Fusco, Alessandro Minelli: Descriptive versus causal morphology: gynandromorphism and intersexuality. In: Theory in Biosciences. Band 142, 2023, S. 1–11. doi:10.1007/s12064-023-00385-1.
  12. S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechtsdifferenzierung der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische und adoleszente Endokrinologie und Diabetologie, Deutschen Gesellschaft für Urologie, Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. In: AWMF online (Stand angemeldet)
  13. Deutsche Gesellschaft für Urologie DGU e. V. = DGU, Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. = DGKCH, Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie [DGKED] e. V. (Hrsg.): S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechtsentwicklung. Juli 2016, S. 5 (aem-online.de [PDF]).
  14. David Andrew Griffiths: Shifting syndromes: Sex chromosome variations and intersex classifications. In: Social Studies of Science. Band 48, Nr. 1, Februar 2018, ISSN 0306-3127, S. 125–148, doi:10.1177/0306312718757081, PMID 29424285, PMC 5808814 (freier Volltext).
  15. Mary García-Acero, Olga Moreno, Fernando Suárez, Adriana Rojas: Disorders of Sexual Development: Current Status and Progress in the Diagnostic Approach. In: Current Urology. Band 13, Nr. 4, Januar 2020, ISSN 1661-7649, S. 169–178, doi:10.1159/000499274, PMID 31998049, PMC 6976999 (freier Volltext).
  16. Tiffany Jones: Intersex Studies: A Systematic Review of International Health Literature. In: SAGE Open. Band 8, Nr. 2, April 2018, ISSN 2158-2440, S. 215824401774557, doi:10.1177/2158244017745577.
  17. Melanie Blackless, Anthony Charuvastra, Amanda Derryck, Anne Fausto-Sterling, Karl Lauzanne, Ellen Lee: How sexually dimorphic are we? Review and synthesis. In: American Journal of Human Biology: The Official Journal of the Human Biology Council. Band 12, Nr. 2, März 2000, ISSN 1520-6300, S. 151–166, doi:10.1002/(SICI)1520-6300(200003/04)12:2<151::AID-AJHB1>3.0.CO;2-F, PMID 11534012.
  18. Bin ich inter*? Ein Einblick in die Beratungspraxis. In: Intergeschlechtliche Menschen e. V. (Hrsg.): Fakten zu Intergeschlechtlichkeit. Nr. 10, 2023 (im-ev.de [PDF]).
  19. Intergeschlechtliche Menschen e. V. (Hrsg.): Wissen, Beratung, Selbsthilfe und Rechte für intergeschlechtlich geborene Menschen, ihre Familien und Angehörigen sowie ihr weiteres Umfeld. 2021, S. 20, 20 (im-ev.de [PDF]): "Neben dem biologischen Geschlecht entwickelt sich die Wahrnehmung des individuellen Geschlechtsempfindens, der Geschlechtsidentität. […] Intergeschlechtlich geborene Menschen nehmen sich als „weiblich“, „männlich“, „sowohl als auch“, „weder/noch“ oder „als etwas sehr Eigenes“ wahr und entscheiden sich, ihren Personenstand in männlich, weiblich, offen oder divers ändern zu lassen."
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  22. Intersex is not a gender identity, and the implications for legislation – Intersex Human Rights Australia. 21. März 2012, abgerufen am 2. Mai 2023 (englisch).
  23. Dominic Frohn, Michael Wiens, Sarah Buhl, Milena Peitzmann, Nain Heiligers: Inter* im Office?! Die Arbeitssituation von inter* Personen in Deutschland unter differenzieller Perspektive zu (endo*) LSBT*Q+ Personen. Hrsg.: Institut für Diversity- & Antidiskriminierungs- forschung. 2020, S. 6 (antidiskriminierungsstelle.de [PDF]).

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