Marshalsea

Das erste Marshalsea, Gravur aus dem 18. Jahrhundert (aus Edward Walford, „Southwark: High Street“ in Old and New London, Band 6, 1878)

Das Marshalsea (1373–1842) war ein berüchtigtes Londoner Gefängnis in Southwark, einen halben Kilometer vom südlichen Ufer der Themse gelegen. Obgleich es eine Vielzahl verschiedener Gefangener beherbergte, darunter Piraten, Meuterer, Aufwiegler oder andere politische Häftlinge, wurde es vornehmlich als Schuldgefängnis bekannt.[1] Dies folgt der Tatsache, dass die Hälfte aller Gefängnisinsassen im England des 18. Jahrhunderts säumige Schuldner waren.[2][3]

Es wurde, wie alle Gefängnisse Englands bis zum 19. Jahrhundert, privat und auf kommerzieller Basis geführt. Äußerlich mutete es wie ein altes Universitätsgebäude an; darin aber wurde mit Erpressung Geld „verdient“.[4] Schuldner, die im 18. Jahrhundert in solchen Gefängnissen einsaßen und gleichwohl noch etwas Geld aufbringen konnten, hatten Zugang zu Geschäften, Speisesälen und auch Kneipen innerhalb und außerhalb des Areals. Je nach Umfang ihrer Strafe, aber auch ihrer finanziellen Zuwendungen an die Aufseher wurde ihnen gestattet außerhalb der Gefängnismauern einer Arbeit oder dem Betteln nachzugehen. Anderen hingegen bot sich nur eine Sackgasse, bei der sie in einer von neun kleinen Zellen zusammen mit Dutzenden anderen Schuldnern einsaßen. Was zudem zur Erhöhung ihrer Schuldenlast führte, da sie zeitgleich auch ihren Gefängnisaufenthalt zahlen mussten.[5] Dabei geschah es, dass die Ärmsten an Hunger starben und Aufsässige mit Körperstrafen behandelt wurden. Eine parlamentarische Untersuchungskommission stellte 1729 fest, dass innerhalb von nur drei Monaten 300 Insassen an Hunger verstarben; an heißen Sommertagen starben pro Tag acht bis zehn Gefangene.

“[A] Day seldom passed without a Death, and upon the advancing of the Spring, not less than Eight or Ten usually died every 24 Hours.”

„Es verging kein Tag ohne einen Todesfall und im Verlauf des Frühjahrs starben nicht weniger als Acht oder Zehn alle 24 Stunden[6]

Gaols Committee, 14. Mai 1729

Weltweite Bekanntheit erhielt das Marshalsea durch den Schriftsteller Charles Dickens und die Erwähnung dieser Einrichtung in seinen Romanen, insbesondere in der Satire Little Dorrit von 1857. Hier kommen autobiographische Momente seines Lebens zum Tragen: Dickens Vater saß 1824 aufgrund von Schulden, welche sich auf recht komplexem Wege bei einem Bäcker angehäuft hatten[7], im Marshalsea ein; Charles war daraufhin gezwungen die Schule aufzugeben und an einer Fabrikmauer als Schuhputzer Geld zu verdienen.

1870 wurde das Gefängnis weitgehend abgerissen. Verbliebene Teile dienten bis ins 20. Jahrhundert als Ladengeschäfte und sonstige Räumlichkeiten. Heute steht dort eine öffentliche Bücherei (John Harvard Library). Der einzige Überrest ist eine lange Steinmauer, welche die südlichste Einfriedung des Gefängnisses darstellt. Eine Plakette erinnert an den Ort, dessen Abriss Dickens zufolge „die Welt nicht schlechter“[8] machte.

  1. Jerry White: London In The Eighteenth Century. Random House, 2012, ISBN 1-4481-2953-2, S. 449 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Tambling 2009, S. 56
  3. Jerry White: London In The Eighteenth Century. Random House, 2012, ISBN 1-4481-2953-2, S. 447 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. Ginger 1998, Seiten 41 und 217
  5. Ginger 1998, Seiten 41–46
  6. Great Britain. Parliament. House of Commons: A Report from the Committee Appointed to Enquire Into the State of the Goals [sic] of this Kingdom:. Robert Knaplock, Jacob Tonson, John Pemberton, and Richard Williamson, 1729, S. 5 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Aus dem Buch Little Dorrit von Charles Dickens: „Die Vermögensangelegenheiten dieses Schuldners waren durch die Beteiligung an einem Geschäft, von dem er nicht mehr wußte, als daß er Geld hineingeschossen, durch legale Wechselübertragungen und Saldierungen, Übergabe hier und Übergabe dort, Verdacht ungesetzlicher Bevorzugung von Gläubigern in dieser Richtung und geheimnisvollen Wegschaffens des Eigentums in jener in Verwirrung geraten. Da aber niemand auf diesem Erdenrund weniger imstande war, irgendein Belastungsargument in dieser wirren Masse zu klären, als der Schuldner selbst, so war die Sache auch auf keine Weise zu entwirren. Ihn im Detail zu fragen und seine Antworten unter sich in Einklang zu bringen suchen, ihn mit Rechnern und geübten Praktikern, die in Insolvenz- und Bankerottränken erfahren waren, einschließen, hätte bedeutet die Unentwirrbarkeit nur auf Zinseszinsen anzulegen. Die unschlüssigen Finger bewegten sich bei jeder solchen Gelegenheit immer unwirksamer um die zitternden Lippen, und die gewandtesten Praktiker gaben ihn als hoffnungslos auf.“, online in der Google-Buchsuche
  8. Litte Doritt, Einleitung (online)

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