NS-Prozesse

Als NS-Prozesse bezeichnet man in einer verbreiteten Kurzform die Strafprozesse zu Verbrechen des Nationalsozialismus. Im Fachdiskurs ist für Verfahren zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen die Kurzform NSG-Verfahren verbreitet.[1] Einen Teil davon bezeichnet vor allem der Alltagsdiskurs auch als Kriegsverbrecherprozesse.

Die juristische Verfolgung von in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen war von den Alliierten im Kriegsverlauf beschlossen worden und begann sofort nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Dachauer Prozesse vor amerikanischen Militärgerichten begannen am 15. November 1945 im Internierungslager Dachau, auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau. Dabei kam zur Sprache, dass in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern Kriegsgefangene misshandelt und getötet worden waren, auch durch Menschenversuche. Die Nürnberger Prozesse fanden zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 im Justizpalast Nürnberg statt. Der einleitende Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher fand vor einem eigens eingerichteten Internationalen Militärtribunal (IMT) statt; die zwölf Folgeprozesse wurden hingegen von US-Militärgerichten durchgeführt. Bis dahin hochrangige Militär- und Regierungsangehörige Deutschlands und Österreichs, ähnlich auch Japans, wurden wegen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt und meist verurteilt. Dabei wurden die Rechtsgrundlagen geschaffen, nach denen zehntausende Folgeverfahren gegen untergeordnete Einzeltäter durchgeführt wurden, die unter deutscher Besatzung an Verbrechen verschiedener Art beteiligt waren.

Diese Folgeprozesse wurden schon nach wenigen Jahren in vielen Bereichen der nationalstaatlichen Justiz jener Staaten überlassen, auf deren Gebieten die jeweiligen Verbrechen stattgefunden hatten, da sie zwischen 1939 und 1945 vom Deutschen Reich und Kaiserreich Japan besetzt oder angegriffen worden waren: Darunter waren Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Jugoslawien, die Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn.[2] Zwei Einzelverfahren, nämlich der Eichmann-Prozess und der Prozess gegen John Demjanjuk, wurden in Israel durchgeführt.

Den meisten Kriegsverbrechern gelang es nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Hilfe der so genannten Rattenlinien zu fliehen und der Bestrafung zu entgehen. Die Fluchtrouten führten mit Beihilfe der Delegación Argentina de Inmigración en Europa hauptsächlich nach Argentinien, aber auch in die Länder des Mittleren Ostens. Es existieren jedoch keine genauen Angaben über die Zahl der geflohenen NS-Täter. Die Historiker nennen die Zahlen von 180 bis 800 Nationalsozialisten, die nach Argentinien emigrierten (Stand 2010).[3]

Für Deutschland, dem die meisten NS-Täter angehörten, hatten die Alliierten die Entnazifizierung beschlossen. Diese sollte ein erster Schritt zur strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit sein. Dazu wurden die Angeklagten in „Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Nichtbelastete“ eingeteilt. Dies führte besonders in der amerikanischen Besatzungszone dazu, dass sich zuerst die Masse der Minderbelasteten und Mitläufer vor den Spruchkammern verantworten musste. Die für später geplanten Verfahren gegen stärker Belastete wurden dann kaum noch durchgeführt. Dieses Vorgehen stieß in der deutschen Bevölkerung auf zunehmend starke Ablehnung (bis zu 70 Prozent laut einer Umfrage im Jahre 1949). Die Verfahren vor den Spruchkammern wurden 1951/1952 in den einzelnen Bundesländern beendet.

Weitere NS-Prozesse wurden seit den 1950er Jahren von der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Österreich durchgeführt: Dort waren sie wesentlicher Teil der juristischen und moralischen Vergangenheitsbewältigung. Die politischen Umstände, vor allem der Kalte Krieg, hatten bei den weiteren NS-Prozessen in den beteiligten Staaten bedeutende Unterschiede im Umfang, in der Intensität, den Rechtsgrundlagen, Verfahrensweisen und Zielsetzungen zur Folge.

Manche NS-Verbrechen wurden gar nicht strafverfolgt oder führten zu keiner angemessenen Bestrafung der Täter. Das bei Ermittlungsverfahren und Prozessen entstandene Aktenmaterial bildet einen wichtigen Quellenbestand der Zeitgeschichtsforschung zum Nationalsozialismus. Die USA begannen am Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bereits deutsche Wissenschaftler und Techniker zu rekrutieren und sich deren militärtechnisches Können und Wissen zu sichern, wodurch diese letztendlich auch einer strafrechtlichen Verfolgung entzogen wurden.

  1. Siehe z. B.: Bundesarchiv: [1] (PDF; 7,2 MB); Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.), Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2007.
  2. Günther Wieland: Die Nürnberger Prinzipien im Spiegel von Gesetzgebung und Spruchpraxis sozialistischer Staaten. In: G. Hankel, G. Stuby (Hrsg.): Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Hamburg 1995, ISBN 3-930908-10-7.
  3. Wolfgang G. Schwanitz: Nazis On The Run (PDF; 1,4 MB), in: Jewish Political Studies Review, 22(2010)1-2, P. 116-22.

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