Vorsorgeprinzip

Das Vorsorgeprinzip ist ein zentrales Prinzip der Umwelt-, Verbraucherschutz- und Gesundheitspolitik vieler Industriestaaten. In Weiterentwicklung dieser Politiken hat es ab den 1970er Jahren Einzug in die entsprechenden Rechtsbereiche vieler Nationen und verschiedener supranationaler Gesetzgebungskörperschaften gehalten.[1][2][3][4]

Es steht „für den Wechsel von einer vorwiegend repressiv-reagierenden zu einer präventiv-antizipierenden Umweltpolitik“.[5] Aufgrund dieses antizipativen Moments ist es im Umfeld der Risiko- bzw. Gefahrenvorsorge (Risikomanagement) angesiedelt. Ziel aller auf dem Vorsorgeprinzip beruhenden Politiken und Rechtsnormen ist die Vermeidung solcher Schäden für den Menschen und/oder seine Umwelt, die als so gravierend empfunden werden, dass ihre Realisierung nicht erst abgewartet werden, sondern ihr vorbeugend begegnet werden soll. Es geht um „Schäden für Mensch und Umwelt, die über die zeitlich und räumlich begrenzten Schäden der ersten Industrialisierungsphase weit hinausreichen“.[6] Ihre Vermeidung wird auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit angestrebt.[7][8]

Demgegenüber verlangt das Nachsorgeprinzip (auch „Risikoprinzip“ oder „Wissenschaftsprinzip“), dass die Realisierung aller Schäden abzuwarten ist und Rechtsvorschriften zu ihrer Vermeidung, z. B. das Verbot einer Chemikalie, erst dann erlassen werden, wenn nach Aufklärung aller wissenschaftlichen Zusammenhänge zweifelsfrei erwiesen ist, dass diese Chemikalie die Ursache für den eingetretenen Schaden war.

  1. Für einen Überblick über die Anfänge Eckard Rehbinder: Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich. Umweltrechtliche Studien (Band 12), Düsseldorf 1991, ISBN 978-3-8041-3070-8.
  2. Für seine Entwicklung und Bedeutung im Recht der EU Birger Arndt: Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht. Recht der nachhaltigen Entwicklung (Band 3), Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150052-7.
  3. Zur Bedeutung des Prinzips auf internationaler Ebene Caroline Foster: Science and the Precautionary Principle in International Courts and Tribunals: Expert Evidence, Burden of Proof and Finality. Cambridge Studies in International and Comparative Law, New York 2011, ISBN 978-0-521-51326-5.
  4. Zum bisweilen sehr unterschiedlichen Verständnis des Prinzips in Europa und den USA Jonathan B. Wiener, Michael D. Rogers, James K. Hammitt et al.: The Reality of Precaution: Comparing Risk Regulation in the United States and Europe, Washington DC 2010, ISBN 978-1-933115-85-6.
  5. Birger Arndt: Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht. (Recht der nachhaltigen Entwicklung, Band 3), Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-150052-7, S. 1.
  6. Christian Calliess, Vorsorgeprinzip, In: Armin Grunwald, Rafaela Hillerbrand (Hg.) Handbuch Technikethik, 2. Aufl., Stuttgart 2021, S. 437.
  7. So bereits in den Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen. In: Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Leitlinien Umweltvorsorge. 17. Dezember 1986.
  8. Melina Still: Das Vorsorgeprinzip – ein unterschätzter Bestandteil menschenrechtlicher Klimaklagen? In: MenschenRechtsMagazin. 20. April 2023, abgerufen am 21. November 2024.

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