Zigeuner

Zigeuner (Substantiv m. sg. und pl., f. sg. „Zigeunerin“ und f. pl. „Zigeunerinnen“) ist im deutschen Sprachraum in der Pluralform eine historische, im gesellschaftlichen Diskurs der Gegenwart aufgrund ihrer diskriminierenden Konnotation mehrheitlich als obsolet markierte Bezeichnung der Mehrheitsgesellschaft für die ethnische Minderheit der Sinti und Roma. Die begriffsgeschichtlich seit jeher diffuse Bezeichnung wurde aufgrund stereotyper Zuschreibungen auch auf andere ethnische oder soziale Randgruppen ausgeweitet, die man wegen ihrer Herkunft, ihrer eigenständigen Kultur oder nonkonformen Lebensweise von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen versuchte.

Der Gebrauch der Bezeichnung als Schimpfwort,[1] sowie die Verwendung der Singularformen (m./f.) zur Bezeichnung von Einzelpersonen und die Verwendung von Adjektiven, wie „zigeunerisch“[2] und „zigeunerhaft“[3] oder Verben wie „(herum)zigeunern“[4] kann sich in informellen Diskursen auch auf Personen beziehen, die nicht zu ethnischen oder sozialen Minderheiten angehören, deren Erscheinungsbild, privates Umfeld oder Lebensstil jedoch mit angeblichen Merkmalen dieser Bevölkerungsgruppen assoziiert wird. Auch wenn den Sprechern die diskriminierende Konnotation ihrer nach eigenem Empfinden oftmals nur „scherzhaft“ gemeinten Wortwahl nicht bewusst sein mag, haben solche Äußerungen immer auch eine pejorative oder diffamierende Dimension, denen in Komposita wie „Zigeuneraugen“ neben einer rassistischen zudem eine sexistische Komponente anhaften kann.[5]

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verloren die Bezeichnung und ihre Ableitungen in Künstlerkreisen, bei einigen Intellektuellen und in Teilen des Bildungsbürgertums durch das Phänomen der als Gegenentwurf zur Lebensrealität der aufstrebenden Industrienationen entstandenen „Zigeunermode“ ihre explizit negative Konnotation. Die Verklärung eines imaginären, von allen gesellschaftlichen Zwängen freien und angeblich sogar „fröhlichen Zigeunerlebens“ als Idealbild einer individualistischen Lebensweise und libertären Gesinnung durch die Vertreter der „Zigeunerromantik“ vermochte jedoch an den Lebensbedingungen der unter der Bezeichnung „Zigeuner“ subsumierten Bevölkerungsgruppen nur wenig zu ändern.

Versuche, die Bezeichnung mit positiven Begriffen zu belegen, trugen letztlich nur dazu bei, dem ohnehin diffusen Ausdruck eine weitere Dimension semantischer Unschärfe hinzuzufügen. Diese Unschärfe diente in späteren Diskursen den Befürwortern einer Beibehaltung der Bezeichnung unter anderem als Argument, dass ihr Gebrauch kontextabhängig zu werten sei, da er sowohl positiv als auch negativ gemeint sein könne.

Eine auf die angebliche Wertneutralität der Bezeichnung abzielenden Argumentation wird von zahlreichen Interessenvertretungen der Minderheiten und auch Teilen der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt, denn insbesondere in Deutschland und Österreich gilt die Bezeichnung „Zigeuner“ als politisch vorbelastet, da sie als Ausdruck eines seit jeher latenten oder offenen Antiziganismus der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wird, der im 20. Jahrhundert im Porajmos gipfelte – der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Aus diesem Grund weisen viele Sinti und Roma sowie andere Gruppen, wie die Jenische die Fremdbezeichnung nicht nur als diskriminierend, sondern auch als sprachliche Manifestation des an ihnen verübten Völkermords zurück.

Obwohl eine Minderheit der Roma die Bezeichnung „Zigeuner“ als Alternativ- oder Eigenbezeichnung verwendet oder zumindest toleriert,[6] hat sich im offiziellen Sprachgebrauch und auch in Teilen der Mehrheitsbevölkerung die international als Oberbegriff etablierte Eigenbezeichnung „Roma“ zunehmend durchgesetzt.

  1. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. Hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin / New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 884.
  2. Duden: zigeunerisch. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
  3. Duden: zigeunerhaft. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
  4. Duden: zigeunern. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
  5. Die sexistische Komponente wird in Prosper Mérimées Novelle Carmen explizit ausformuliert: „Namentlich aber hatten ihre Augen einen wollüstigen und zugleich wilden Ausdruck, den ich in keinem menschlichen Blick je wiedergefunden habe. ‚Zigeunerauge - Wolfsauge‘, sagt eine spanische Redensart, die von feiner Beobachtung zeugt.“ (Prosper Mérimée: Carmen. Rascher, Zürich 1920, S. 28).
  6. Arno Frank, Thomas Schmoll: Sinti und Roma. „Wir müssen aus dieser Opferrolle raus.“ Interview mit Markus Reinhardt und Marko Knudsen auf Spiegel Online (Abonnement erforderlich).

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